Inselmodell
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wollte Mark Twain einmal beweisen, dass auf einer New Yorker Abendgesellschaft keiner dem anderen richtig zuhört, weil alle mit sich selbst beschäftigt sind und nur oberflächlich aneinander vorbeireden. Nachdem er zu spät auf einer festlichen Veranstaltung erschienen war, wurde er von der Gastgeberin mit den warmen Worten empfangen:
„Kommen Sie herein, mein Lieber. Da drüben steht der Botschafter von Malaysia, ich stelle Sie gleich vor …“ „Entschuldigen Sie bitte meine Unpünktlichkeit“, sagte Mark Twain, „aber ich musste meiner alten Tante noch den Hals umdrehen und das dauerte etwas länger, als ich angenommen hatte.“ Die Gastgeberin erwiderte: „Wie reizend von Ihnen, dass Sie trotzdem gekommen sind. Kommen Sie, der Botschafter ist wirklich ein hochinteressanter Mann …“
Tagtäglich werden wir mit Schwierigkeiten bei der Kommunikation konfrontiert. Miteinander reden ist gar nicht so einfach. Nicht von ungefähr bekommen wir ab und zu die vorwurfsvollen Worte „Da haben Sie mich aber missverstanden“ zu hören. Wie können Sie dem entgegenwirken? Die hohe Kunst der Gesprächsführung beginnt, wenn Sie mit dem anderen sprechen, statt an ihm vorbei.
Unter den zahlreichen Methoden für gelungene Gesprächsführung gehört das „Inselmodell“ der bekannten Trainerin Vera F. Birkenbihl zu den anschaulichsten. Stellen Sie sich einen in einem Kreis stehenden Menschen vor. Dieser Kreis symbolisiert seine Insel, die seine Überzeugungen – sein Weltbild – repräsentiert. Der Mensch hält sich für den Mittelpunkt dieser Welt. Bleibt jeder auf seiner Insel allein und überschneiden sich die einzelnen Inseln der Menschen nicht, dann sprechen sie nicht mit ihrem Gesprächspartner, sondern an ihm vorbei: Vielfach interessieren sich die Menschen mehr für ihre eigenen Bedürfnisse als für die ihrer Gesprächspartner. Wenn Sie beispielsweise Ihren Mitarbeiter fragen „Lass uns endlich von dir sprechen: Was hältst du von meinem neuen Büro?“, bleiben Sie eindeutig auf Ihrer Insel.
Eine alte Regel besagt: Je ähnlicher uns ein Mensch in seinem Denken und Handeln ist, desto lieber wollen wir mit ihm kommunizieren. Um im Bild zu bleiben: In diesem Fall überschneiden sich die Inseln der beiden Gesprächspartner. Das heißt im Umkehrschluss: Von den Inseln der Menschen, die andere Meinungen vertreten als Sie, sind Sie durch das Meer, sprich eine Distanz, getrennt. Wie lässt sich der Abstand zwischen den Inseln überwinden? Gehen Sie auf Ihren Gesprächspartner zu, indem Sie eine Brücke zu seiner Insel bauen. In die Praxis umgesetzt heißt das: Stellen Sie ihm Fragen; an seinen Antworten erkennen Sie, wo er sich gedanklich gerade aufhält – jetzt befinden Sie sich auf seiner Insel. Insbesondere Antworten auf die Frage nach dem vergangenen oder nächsten Urlaub lassen in aller Regel tief blicken.
Die eigene Insel zu vergrößern ist ein weiterer Weg, um auf die Insel des anderen zu gelangen: Je weiter Ihr Wissen und je größer Ihr Erfahrungsschatz ist, umso besser können Sie mit anderen Menschen kommunizieren, selbst wenn diese nur über einen relativ begrenzten Horizont verfügen. Mit Ihrem Kunden fachsimpeln Sie über dessen Branche, mit Ihren Kindern über Grimms Märchen.
Setzen Sie die Du-Argumentation ein: Damit begeben Sie sich direkt auf die Insel Ihres Gesprächspartners und gehen auf seine Wünsche und Meinungen ein: „Sie erhalten die Garantie, dass …“ ist deutlich wirkungsvoller als „Ich gebe die Garantie, dass …“, weil Sie ein- und denselben Nutzen aus der Perspektive des Gesprächspartners beleuchten.